Wunder Wachstum

      Teil II

      Neue Studien lassen vermuten, dass es gar nicht so schwer ist, über längere Zeit hohes Wachstum zu erreichen. Die Deutschen müssten dafür aber eine ganz neue Reformstrategie testen. Des Rätsels Teil II.


      Die gute Nachricht ist: Wirtschaftswunder gibt es öfter als man denkt. So schwer kann das gar nicht sein. Die schlechte ist, dass Ökonomen bislang wenig davon verstehen, was zum Wunder führt - und in Deutschland dazu noch fehlen könnte. Das lässt jedenfalls jene Studie vermuten, in der drei hoch renommierte Harvard-Professoren jetzt veröffentlichten*.

      Was genau den Erfolg ausmacht, konnten auch Ricardo Hausmann, Lant Pritchett und Dani Rodrik noch nicht klären. Ihre Analyse von einigen Dutzend Präzedenzfällen plötzlicher Wachstumswunder in den vergangenen Jahrzehnten hat trotzdem Potenzial, ganz neue Vorstellungen davon reifen zu lassen, wie Volkswirtschaften zu reformieren sind. Die Chancen auf ein kleines deutsches Wachstumswunder ließen sich womöglich deutlich verbessern - vielleicht sogar besser ohne Reformkrämpfe à la Hartz IV.



      Wachstum gibt es immer wieder


      Laut Berechnung der Harvard-Ökonomen setzen jedes Jahr im Schnitt zwei bis drei Länder irgendwo auf dem Globus zu einer anhaltend beeindruckenden Beschleunigung ihres Wirtschaftswachstums an. Und: In aller Regel sei mit gängigen ökonomischen Faktoren gar nicht zu erklären, warum die Wirtschaft zu boomen begann. Die meisten Wunder setzten ein, ohne dass es vorher zu großen wirtschaftspolitischen Brüchen gekommen sei.


      Spätestens das steht in krassem Widerspruch zur gängigen Vorstellung, wonach es im Grunde immer die gleichen universal-ökonomischen Faktoren sind, die Wachstum bringen - egal in welchem Land und in welchem Stadium. Und dass erst eine ganze Menge reformiert werden muss, bevor eine Wirtschaft überhaupt wachsen kann. Unsinn.


      Die Ergebnisse der drei Ökonomen sprechen dagegen. Des Rätsels Lösung könnte danach darin liegen, dass es meistens kleine Veränderungen waren, die eine Dynamik in Gang brachten und zu anhaltend beschleunigtem Wachstum führten. Und dass es dabei gar nicht so sehr darauf ankommt, die niedrigste Steuerquote, den besten Arbeitsmarkt oder den schlanksten Staat zu haben. Bei den Menschen gebe es ja auch Dicke und Dünne, Große und Kleine - ohne dass die einen systematisch erfolgreicher sind als die anderen, sagt Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor im deutschen Sachverständigenrat.


      Das würde erklären, warum etwa die eher reformresistenten Österreicher trotz 50 Prozent Staatsquote und reglementiertem Arbeitsmarkt seit Jahren schneller wachsen als nebenan die gelobten Schweizer, deren Wirtschaft dauerstagniert - ohne Kündigungsschutz. Oder warum Schweden mit großzügigem Sozialstaat ähnlich gut da steht wie die Amerikaner mit viel weniger Sozialstaat.


      Wer einmal stagniert, droht da nicht so schnell wieder heraus zu kommen - dasselbe gilt umgekehrt: wenn Wachstum einmal einsetzt, kann der Boom schnell zum Selbstläufer werden. Dann braucht der Staat weniger Geld, um Arbeitslose zu bezahlen, was wiederum Steuern und Abgaben rascher sinken lässt und das Wachstum somit weiter beschleunigt. Laut Bofinger haben in den vergangenen Jahren auch die Finanzmärkte vielfach zur Eigendynamik beigetragen: wo die Wirtschaft wächst, kann mehr Geld in Aktien oder Immobilien angelegt werden, was wiederum die Kurse und Vermögen steigen lässt und die Konsumlust stützt - siehe Großbritannien.


      Auf solche Art ließe sich erklären, warum ein und dieselben Japaner einst boomten und dann zehn Jahre in der Deflation steckten, bei niedriger Staatsquote. Oder warum Frankreichs oft verspottete Wirtschaft nach langer Depression und ohne große Reformen in den 90ern plötzlich über Jahre boomte. Und es würde erklären, warum laut Harvard-Diagnose kleine Änderungen oft reichten, um vom Stagnationsstadium zu beschleunigtem Wachstum zu wechseln. Es reicht, die entscheidende Schwelle zu erreichen.


      Wenn das stimmt, kommt es weniger darauf an, möglichst viele Reformen möglichst schnell und radikal und schmerzhaft durchzusetzen - so wie es deutsche Grundsatz- und Schreibtischreformer empfehlen. Im Gegenteil. Laut Harvard-Diagnose blieb nach großen Liberalisierungsschüben in der Vergangenheit in mehr als 80 Prozent aller Fälle der große Wachstumsschub anschließend aus.



      Hartz IV kommt im falschen Moment


      Wichtiger wäre es, die Wirtschaft erst einmal aus der akuten Stagnationsfalle heraus zu holen. Und dazu wäre es aller globaler Erfahrung nach sinnvoller, sich auf wenige Reformen zu konzentrieren, die dafür möglichst schnell möglichst viel Wachstum auslösen - so viel, dass die Schwelle zur Eigendynamik erreicht wird und der Rest der Reformen danach einfacher wird. Hier beginnt das Drama.


      In Deutschland kursieren fast täglich neue Reformideen. Und zur Mutter aller Reformen wird gerade jenes Hartz IV deklariert, bei dem selbst größte Befürworter nicht zu prognostizieren wagen, wann das Jobs und Wachstum bringt. Im Gegenteil: Konjunkturprognostiker rechnen wegen gekürzter Leistungen für Arbeitslose 2005 erst einmal damit, dass in Deutschland weniger konsumiert wird.


      Das Drama ist, dass die Chancen auf ein kleines Wunder im Grunde gar nicht schlecht stünden. So etwas sei "für die meisten Länder in Reichweite", schreiben die Harvard-Ökonomen. Der Erfolg deutscher Exporteure lässt erahnen, wozu die Wirtschaft fähig ist, und das Wachstum erreicht nach drei Stagnationsjahren immerhin zwei Prozent. So weit kann die Schwelle zur Eigendynamik nicht sein. Nur droht sie mit Reformen à la Hartz IV jetzt wieder in weitere Ferne zu rücken.


      Vieles spricht nach Auswertung der weltweit geglückten Wachstumsexperimente dafür, dass zum Erfolg wohl dosierte Reformen zum rechten Moment gehören. Auch in den USA und Großbritannien wurde der Druck auf Arbeitslose verstärkt. Nur geschah das, als in den 90ern die Wirtschaft stark wuchs und die Arbeitslosen es leicht hatten, Jobs zu finden. In Deutschland steigt jetzt der Druck - in einer Wirtschaft, die mangels Wachstum nicht ansatzweise genug Stellen anbieten kann.

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      Der Autor ist in den besprochenen Werten zumeist selbst investiert. Traden auf eigene Gefahr, Signale sind aktuell großteils experimentell zwecks Challenge "In 30 Tagen zur Trading Strategie".
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      If it´s not a HELL YES, it´s a NO!
      Hi Thomas,

      Im Copyright unten hab ich eh die FTD eingefügt, werde mir dann am Freitag den 2. Teil besorgen :)
      Der Autor ist in den besprochenen Werten zumeist selbst investiert. Traden auf eigene Gefahr, Signale sind aktuell großteils experimentell zwecks Challenge "In 30 Tagen zur Trading Strategie".
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      RE: Wunder Wachstum

      Original von Hintman
      Eine Bestätigung für mich, warum man Fundamentaldaten getrost in den Müll klopfen kann :)

      Der Artikel stand am Freitag in der dt. financial times. Allerdings fehlt der letzte Satz: "Auflösung am nächsten Freitag." (Dann erscheint nämlich der 2. Teil!)
      Fürs Daytrading kann man Fundamentals natürlich ignorieren, denn warum sollte sich eine Fehlbewertung ausgerechnet innerhalb eines Tages abbauen?
      Für langfristige Investoren würde ich das nicht so sehen, wie konnte schliesslich jemand wie Buffet sonst Jahrzehnte lang outperformen?

      RE: Wunder Wachstum

      hintman,

      jetzt weiß ich auch endlich, warum ich bei den laberrunden von christiansen und illner(politische talkshows, falls du sie nicht kennst), wo alle diese unten genannten schlaumichel vertreten sind, beim zappen nie hängen bleibe, sondern mir lieber einen tierfilm oder ähnliches anschaue.
      :)) ;) :D

      blueeyemax

      Wunder Wachstum

      Grad nen netten Artikel auf wissen.de gefunden, gibt Futter gegen Schröder und gegen alle Volkswirte. Eine Bestätigung für mich, warum man Fundamentaldaten getrost in den Müll klopfen kann :)

      Wunder Wachstum

      Bislang tun Deutschlands Experten so, als wüssten sie, wie eine Wirtschaft aus der Krise zu holen ist. Dabei haben Ökonomen davon im Grunde keine Ahnung, wie einige jetzt einräumen. Des Rätsels Teil I.

      Wenn es um Reformen geht, sind deutsche Wirtschaftsexperten stets eifrig dabei. Dann werden radikale Umbrüche im Steuersystem gefordert. Oder Kopfpauschalen und Deregulierungen. Nur in einem wirken die meisten auffällig zurückhaltend: wenn es darum geht, wie schnell und wie stark die Reformen wirken - und wann sie den versprochenen großen Wachstumsschub bringen. Dann ist meist von langen Zeiträumen die Rede. Und davon, dass das ja so genau nicht vorherzusagen sei.


      Was nach vornehmer Bescheidenheit klingt, könnte sich jetzt als bittere Wahrheit herausstellen. Darauf deutet eine spektakuläre Studie von drei renommierten Harvard-Professoren hin.* Die lässt beängstigend daran zweifeln, dass Ökonomen Ahnung haben, wann und warum eine Wirtschaft boomt; und was dazu nötig ist - oder eher schadet.


      Modelle wechseln mit hohem Tempo



      Nach gängigem Verständnis sind die ökonomischen Vorbilder klar: Mal dürfen im deutschen Fernsehen nette dänische Geschäftsleute sagen, warum ihr Land toll ist. Mal sind es die Schweden, früher auch die Holländer, und ganz früher die Japaner - dazu die Amerikaner und Briten. Die Zweifel kommen bei näherer Betrachtung. Denn was dänische Werber natürlich nicht sagen, ist, dass bei ihnen mehr als 50 Prozent Abgaben zu zahlen sind - und das Land damit nach orthodoxer Ökonomie eigentlich gar nicht wachsen dürfte. Rätselhaft. In Großbritannien begann umgekehrt der Boom erst 15 Jahre nach den großen Reformen der Thatcher-Zeit - warum nicht früher?

      Die Modelle scheinen schneller zu wechseln, als die Experten mitkommen. Vor kurzem noch jubelten Reformpäpste über Holland, das jetzt in tiefer Rezession steckt. Die japanische Wirtschaft hörte auf zu wachsen, ohne dass Ökonomen das vorher gemerkt hatten; umgekehrt boomte in den 90er Jahren ganz ohne große Reformen Amerikas Wirtschaft, die noch Ende der 80er Jahre in tiefen Selbstzweifeln und Defiziten versunken war.

      Das Phänomen hat es in sich, wie die Ökonomen Ricardo Hausmann, Lant Pritchett und Dani Rodrik herausfanden, als sie die Performance von mehr als 100 Ländern über fast fünf Jahrzehnte auswerteten: Seit Anfang der 50er Jahre gab es rund um den Globus mehr als 80 Fälle, bei denen das Wachstum vorher kriselnder Volkswirtschaften plötzlich um mehrere Prozentpunkte anzog und das Tempo sich über acht Jahre hielt. Zu einem Fünf-Jahres-Wunder kam es gar in 125 Fällen.

      Schon das widerspricht der Standardlehre, wonach gut strukturierte Volkswirtschaften gegen Krisen gewappnet sind. In Wirklichkeit gebe es "nur sehr wenige Länder, deren Wirtschaft über mehrere Jahrzehnte kontinuierlich stark gewachsen ist", schreiben Hausmann, Pritchett und Rodrik: "Typischer ist, dass sich Wachstum, Stagnation und Rückfall abwechseln." Nur warum? Hier beginnt das noch größere Dilemma für die Experten.

      Die Harvard-Ökonomen testeten mühsam, was bei jenen Ländern, die plötzlich stark wuchsen, in der Zeit vor dem Aufbruch anders war als bei den anderen. Danach geht höheres Wachstum zwar relativ oft mit starkem Export, hohen Investitionen, Regimewechseln und der Öffnung von Grenzen und Märkten einher. Positiv scheinen grundsätzlich auch starke Abwertungen der eigenen Währung.

      Der Haken ist, dass sich der Zusammenhang jeweils als recht locker erweist: Manchmal zieht die Erklärung, meistens nicht. Selbst alle ökonomischen Standard-Erfolgsfaktoren zusammen können demnach "nur einen Bruchteil" der tatsächlichen Wirtschaftswunder der vergangenen Jahrzehnte erklären.

      Nur in fünf Prozent aller Fälle führten stark positive wirtschaftliche Einflüsse von außen zum Wachstumsschub. Gleiches gilt für gerade einmal 13,6 Prozent aller politischen Regimewechsel. Die Liberalisierung von Finanzmärkten hatte positive Effekte - die rasch nachließen. Besonders brisant: Selbst die Öffnung von Volkswirtschaften samt marktwirtschaftlicher Reformen blieb in den weitaus meisten Fällen ohne große Wirkung. "Kaum jedes fünfte Mal haben Reformschübe tatsächlich zu schnellerem Wachstum geführt", sagt Ex-Weltbank-Chefökonom Hausmann.


      Wirtschaftswunder meist ohne Reformen


      Laut Standardlehre hätte es in neun von zehn Fällen gar nicht zum Wachstumswunder kommen dürfen. Das erklärt, warum es die Experten oft so unvorbereitet traf - "für die Ökonomen Anlass zu größerer Bescheidenheit", so Hausmann. Dies gilt zumindest für jene, die gerne behaupten, das ja allen klar sei, was zu tun ist. Vieles spreche dafür, dass Wachstumsschübe durch kleine und (landes-)eigene Änderungen ausgelöst werden.

      Für den Kanzler könnte das zum Desaster reichen. Zwar treffen die brisanten reformpolitischen Schlüsse der Studie nur bedingt auf Deutschland zu, weil hier zum Beispiel die Grenzen längst offen sind. Laut Hausmann dürfte das Ergebnis dennoch ähnlich ausfallen und auf andere Reformen übertragbar sein. Und das würde bedeuten, dass der Kanzler derzeit unter hohen Verlusten Reformen durchzusetzen versucht, die orthodoxe Ökonomen zwar täglich vorbeten, die den Wachstumsgott aber mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit unbeeindruckt lassen werden.

      Das Schöne ist, dass die Statistik auch Positives birgt. Da es weit mehr Wunder als Fälle radikaler Reformen gibt, sei es eben falsch, dass für große Erfolge unbedingt ebenso große Brüche nötig seien, so die drei Professoren. Statistisch gebe es Wachstumswunder sogar so oft, dass die Wahrscheinlichkeit für jedes Land bei eins zu vier liege, innerhalb von zehn Jahren ein solches zu erleben. Fein.

      Vielleicht können wir Deutschen ja geltend machen, dass wir schon drei Jahrzehnte mit dem Wachsen ausgesetzt haben.

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      Der Autor ist in den besprochenen Werten zumeist selbst investiert. Traden auf eigene Gefahr, Signale sind aktuell großteils experimentell zwecks Challenge "In 30 Tagen zur Trading Strategie".
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