Betriebs- und volkswirtschaftliche Betrachtungen

      ach warum auch?

      aus Dax Daily 2.3.2012


      von Henrik Voigt

      Wie ging das gestern nun aus mit der Entscheidung über die
      Griechenlandpleite? Nun, der Verband der Finanzinvestoren ISDA hat
      entschieden, dass der Umtausch griechischer Anleihen keinen Credit Event
      darstellte. Das Land bleibt damit vorerst zumindest formal
      zahlungsfähig. Aber das Wichtigste: Die Ausfallversicherungen CDS kommen
      (noch) nicht zum Einsatz. Wir haben herzlich gelacht.
      Das
      Kreditereignis wird also zunächst kategorisch ausgeschlossen, obwohl es
      faktisch eingetreten ist. Oder wie bezeichnet man sonst einen
      Zahlungsausfall zum größten Teil? Die Ratingagenturen nennen die Sache
      jedenfalls beim Namen (was auch nicht weiter verwundert, denn es handelt
      sich ja nicht um die USA). Der Bankenverband hat also entschieden, dass
      einige seiner Mitglieder keine CDS-Versicherungen auszahlen müssen. Die
      gezahlten Prämien waren demnach hinausgeworfenes Geld und dienten nur
      zur Bereicherung der emittierenden Banken. Für diejenigen, die sich
      damit versichert haben, kommt also zu den nutzlos verlorenen Prämien
      noch der Zahlungsausfall durch den Schuldenschnitt. Wenn, ja wenn sie so
      dumm sind, und diesem ja immer noch freiwilligen" Schuldenschnitt
      zustimmen.
      Wenn aber nicht mindestens 75% der
      privaten Gläubiger tauschen, dann wird der Deal trotzdem platzen. Dann
      haben wir nämlich keinen "freiwilligen" Schuldenschnitt mehr und damit
      ein nicht vorliegendes Kreditereignis. Dann bliebe Griechenland nur noch
      eine Erzwingung des Schuldenschnitts über ein juristisch sehr
      fragwürdiges CAC. Dann müssen die CDS doch noch gezahlt werden. Und dann
      wird es spannend: Die genaue Höhe der Ausfallversicherungen ist
      unbekannt, kann aber um ein Vielfaches höher liegen als das
      abzusichernde Risiko (die CDS waren auch beliebte Spekulationsobjekte).
      Das ganze tolle Weltfinanzsystem könnte mit einem großen Knall plötzlich
      untergehen, wenn diese Zahlungen sehr hoch sein sollten und plötzlich
      fällig werden. Das erklärt sicher, warum so vehement und mit allen, auch
      sehr fragwürdigen Mitteln versucht wird, diesen Default zu verhindern.
      Und Merkel jetzt Panik bekommt und das Rettungschirmchen wohl doch
      aufstocken will. Ob das reicht?
      "Promising pussy in the after-life is the lowest thing I ever heard..." - Bill Maher

      Krümel schrieb:


      Letztendlich ist ja das große Ziel, dass es möglichst vielen gut geht ....

      Ich neige auch zu diesem Gedanken; aber wessen Ziel ist das eigentlich, und warum? Ist das mehrheitsfähig?
      Ist es zum Beispiel - und aus welcher /wessen Sicht? - vorzuziehen, wenn auf der Erde 5 Millionen mit Wohlfühl- oder Gut-geh-Faktor 3 leben, oder lieber 10 Millionen mit Wohlfühl-Faktor 1 ? Bei der Ausgestaltung dieser Frage könnte man ja noch die Bedingung einführen, dass die Lebensbedingungen Einzelner nicht allzu weit vom Durchschnitt sein sollen.
      "Promising pussy in the after-life is the lowest thing I ever heard..." - Bill Maher

      Perfect Trader schrieb:

      Daß zu einfach gestrickte Regeln letztlich fast immer aus ganzheitlicher Sicht nicht wünschbare Extrem-Szenarien entstehen lassen, legt nahe, daß man lange vor dem Eintreten der unerwünschten End-Zustände die Regeln modifiziert.


      Auf jeden Fall muss man die Regeln der Akteure ändern, denn sonst wird immer wieder dasselbe hinten rauskommen !

      Solche Gesellschafts- und Wirtschaftssimulationen wie die Zuckerwelt sind in meinen Augen ein nützliches Hilfsmittel, um vorab zu testen, wie sich Regeländerungen auf das Gesamtergebnis auswirken können. Zumal es uns Menschen in der Regel sehr schwerfällt, uns solche komplexen adaptiven Systeme vorzustellen und im Kopf die Ergebnisse durchzusimulieren.

      Bsp.: man ´schaut sich die hässliche Pareto-Verteilung an und kommt vielleicht auf die Idee, da einfach mal am rechten Ende Einkommen wegzunehmen (bzw. Zucker) und an die linke Seite der Verteilung zu packen getreu dem Motto: Man nimmts den Reichen und verteilt es unter den Armen. Das versucht man ja mit einer z.B. "Reichensteuer" (so sie denn kommt) in Kombination mit Hartz IV. Aber ist das langfristig wirklich so optimal ? Für die Motivation der "Armen" auf Dauer sicher nicht und für die der Reichen vermutlich auch nicht. Die ersteren werden vermutlich inaktiver, da sie wissen, dass sie alimentiert werden, aber da nicht mehr rauskommen (und wehe, irgendwann gibt es nicht mehr genug Zucker für sie), die zweiten werden vermutlich versuchen, ihre Zuckerberge zu schützen (Lobby, Gewalt, Ausweichmöglichkeiten, wenn vorhanden nutzen usw.).


      Eventuell ist es z.B. sinnvoller, (nach einem Reset) die anfängliche eher Normal- bzw. Gleichverteilung gar nicht in Richtung Pareto entarten zu lassen. Hier sind dann kreative Ideen gefragt, wie man das hinbekommen kann. Welche zusätzlichen Regeln müssen in das System eingebaut werden ?

      Dazu kann man dann auch recht provokante Thesen überprüfen, die man im echten Forschungsumfeld mit echten Versuchspersonen niemals durch die Ethikkommission bekommen hätte:
      Was passiert, wenn man jeweils das ärmste und das reichste Mitglied einer Gesellschaft miteinander zwangsverpaart ? Oder sich beide zumindest das Einkommen teilen müssen. Wenn man für eine Gesellschaft wünschenswerte Eigenschaften bei der Fortpflanzung unterstützt (z.B. Elterngeld bzw Extra-Zucker nicht für alle per se) = Veränderung der Anreizsysteme. Kinder kriegen kann ja weiter jeder, aber den Zuschuss bekommen nur die "erwünschten" ? Ja, das ist nicht gerecht und fair, aber das ist das heutige System ja auch nicht. Und so kann man doch eine Reihe von Ideen, Stammtischparolen oder auch "Spinnereien" überprüfen.

      Letztendlich ist ja das große Ziel, dass es möglichst vielen gut geht und nicht dass es sehr wenigen extrem gut geht und dem Rest zunehmend schlechter.

      Wie man - wenn man etwas sinnvolles bei den Simulationen herausfindet - dieses dann tatsächlich umsetzt, zumal man ja gegen das aktuelle System arbeitet, welches ja seine Pfründe sicherlich nicht freiwillig aufgibt, steht noch auf einem anderen Blatt. Kann man durch kleine Veränderungen die Akteure dazu bringen, dass die Gesamtentwicklung einen anderen Pfad einschlägt, oder braucht man tatsächlich einen Total-Neustart, wo man eher einen zentralen Lenker erwarten würde, der den Start-Button drückt ? Ich halte letzteres für unrealistisch, denn gerade die zentrale Steuerung fehlt ja typischerweise in solchen komplexen adaptiven Systemen.

      Aber theoretisch sollte man auch das vorher mittel Simulation durchchecken können: welche Schritte müssen wie in welchen Zeiträumen von wem durchgeführt werden, damit am Ende das gewünschte Ergebnis steht, das System sich also quasi selbst ändert.

      Perfect Trader schrieb:

      So hat mich z. B. bei meinem BWL-Zweit-Studium in Fach VWL immer sehr geärgert, daß dort hinter einem mathematisch sehr elegantem Formelwerk, was mir durchaus gut gefallen hat, schwerste Lügen über die wirkliche Funktionsweise der Gesellschaft abgetarnt wurden, indem Sach-Zwänge vorgespiegelt wurden, die in Wahrheit sehr wohl das Ergebnis menschlicher Entscheidungen waren und die bei anderer Gestaltung bestimmter Eingangs-Bedingungen gar nicht zwingend wären.
      Das interessanteste Buch, welches ich in letzter Zeit dazu gelesen habe, war Die Entstehung des Wohlstands. Wie Evolution die Wirtschaft antreibt. Darin findet sich u.a. auch ein ausführlicher historischer Abriss über die Entwicklung der verschiedenen Wirtschaftstheorien und warum der Griff in die Physik und die Übernahme des Gleichgewichtsmodells nicht gerade als Glücksgriff zu bezeichnen ist.

      In dem Buch findet sich im übrigen auch noch eine sehr gute Zusammenfassung der Ergebnisse der Zuckerwelt (Epstein und Axtell: Growing Artificial Societies: Social Science from the Bottom Up - einer Simulation einer Gesellschaft, die trotz ihrer Einfachheit doch sehr erstaunliche Erkenntnisse liefert .

      Die extremen Ungleichverteilungen von Einkommen zwischen Arm und Reich entstehen in der simulierten Welt auch unabhängig davon, ob ein Kreditwesen inkl. Zinseszinssystem implementiert sind oder. Mit dem Zins geht die Schere nur schneller auseinander. Aber auch andere Phänomene werden putzigerweise in der SImulation beobachtet (die man so vorher nicht einprogrammiert hat, sondern die durch die Interaktion der Akteure entstehen).

      Mir persönlich gefällt die Idee nämlich viel besser, dass in einem durch Interaktion von sehr vielen Individuen, die nach recht primitiven Regeln agieren (und was sich auch mit meiner Alltagserfahrung deckt) ein relaltiv komplex wirkendes dynamisches System entsteht, was als Ausgang u.a. eine Einkommensverteilung in Pareto-Form hat als dass ich mir vorstellen will, dass da einige Wesen sitzen und die Weltherrschaft an sich reißen wollen . Dass das Ergebnis für viele unschön und/oder moralisch verwerflich ist, stelle ich hier nicht zur Diskussion.

      Hier noch eine Zusammenfassung zum von mir o.g Buch "Die Entstehung des Wohlstands." von Beinhocker: http://www.bertramkoehler.de/Wirtschaft.htm.
      querschuesse.de/target2-salden/

      Notenbank-Daten wichtiger EU-Staaten.
      Als Laie frage ich mich, wieso z.B. für AT nur 3 Jahre Daten verfügbar sind; verbrennen die AT-Notenbanker nach kurzer Zeit ihre Bücher?
      Vielleicht könnte man das Verfahren noch verbessern: Alle verbrennen ihre Bücher, und zwar sofort. Schwupps, sind die Schulden weg, die Forderungen waren eh nicht einzutreiben, daher lohnte es sich auch nicht, die Zahlen auf Papier zu drucken!
      Sodann geht das Leben weiter.
      "Promising pussy in the after-life is the lowest thing I ever heard..." - Bill Maher